Tchau, Brasil!

Schneller als gedacht (und befürchtet) ist er nun angebrochen: Der letzte Tag in Brasilien. Der letzte Monat ist noch mehr als je zuvor im Flug vergangen, weil so viel passiert ist.

Der erste Abschied, war der von unserem Chor, denn unser letztes Konzert (Brahms – Triumphlied) war zugleich der Beginn der Sommerpause für den Chor. Die Aufführungen waren schön, besonders das Theatro São Pedro hat uns gut gefallen. Wir wurden gerade von den anderen Sopranistinnen sehr herzlich verabschiedet. Genauer gesagt: Alle wollten noch einmal mit uns fotografiert werden, sodass wir von unzähligen Smartphones abgelichtet wurden.

Konzert im Theatro São Pedro

Brahms – Passend zum Abschluss unserer Zeit im Chor ein deutsches Stück

Eines der unzähligen Abschiedsfotos

Der Dezember war natürlich vollgepackt von Weihnachtsaufführungen und -feiern, bei denen Johanna und ich ein letztes Mal zusammen die musikalische Begleitung einiger Theateraufführungen übernommen haben Die dritte Klasse überraschte ich mit einer herzergreifenden Überraschungsverabschiedung, bei der die Kinder mir einige englische Lieder vorsangen, de sie im Unterricht von mir gelernt hatten. Zum Schluss bekam ich noch Fotos und ein Album zur Erinnerung überreicht.
Auch in den anderen Klassen bin ich nach und nach verabschiedet worden. Zuletzt kamen noch die Präsentationen des Weihnachtsstückes, bei dem ich auch bei der musikalischen Begleitung geholfen habe.

Die Überraschung der 3. Klasse

Erinnerungen

Abschied im Kindergarten

Musikergruppe beim Theaterstück

Jahresabschiedsfeier aller Mitarbeitern und Freiwilligen Horizonte Azuls

Es folgten die Feiertage, viele nette Abende und das Silvesterfest, das ich mit ein paar Freunden auf der Paulista im Zentrum São Paulos verbracht habe. Es war natürlich brechend voll, dei Straße war abgesperrt und es gab Sicherheitskontrollen. Die Getränke waren überteuert, aber dafür konnte man sich wenigstens einigermaßen sicher fühlen und hatte auch Live-Musik bekannter brasilianischer Popmusiker, moderiert von Michel Teló, baknnt durch den Hit „Auí se eu te pego (Nossa, nossa, assim você me mata“).

Feuerwerke und Live-Show auf der Paulista

Réveillon (Silvester) auf der Avenida Paulista

Außer uns waren noch ein paar andere Leute dort 😉

Da mit Weihnachten und Silvester für uns auch die Ferien anfingen, haben wir noch viele schöne Sommerabende im Freiwilligenhaus und am See verbracht. Als Abschluss meines Jahres bin ich noch für eine Woche mit Johanna in den Süden Brasiliens, in die Bundesstaaten Paraná und Santa Catarina gereist und habe dort unglaublich schöne Natur und sehr freundliche Menschen kennengelernt.

Einer der vielen netten Abende im Freiwilligenhaus

Mit Johanna auf Reisen

Grüne Weiten Paranás

Unglaublich für uns: In Santa Catarina gibt es einen sehr großen Anteil deutschstämmiger Brasilien – Johanna ist mit ihren blauen Augen gar nicht mehr aufgefallen. Selbst die Bauweise und einige deutsche Kulturgüter (allen voran Bierbraukunst) werden dort stolz praktiziert.

Johanna vor einem Fachwerkhaus in Sao Bento do Sul

Stolz ist man auf die deutsche Braukunst: „Das deutscheste Fassbier Brasiliens“

Berge soweit das Auge reicht

Teilweise existieren noch deutsche Straßennamen

Wohlverdienter Abschluss der Reise: Strand nahe Joinvilles

Die erfrischenden grünen Kokosnüsse gehörten dazu

Noch ein letztes Mal Sonne tanken

Die letzte Woche habe ich nun noch mit Gartenarbeit und Putzen in einer anderen Einrichtung in einem Vorort Sao Paulos verbracht. Aramitan ist eine ebenfalls anthroposophische soziale Einrichtung in Embu-GuaÇu, die sich noch im Aufbau befindet und ausschließlich von Freiwilligen organisiert wird. Ich habe dadurch eine weitere sehr interessante Einrichtung kennengelernt, viele nette Menschen getroffen und konnte ihnen hoffentlich auch ein kleines bisschen Arbeit abnehmen.

Das Musikzimmer in Aramitan

Ich sehr dankbar für für all die Unterstützung der vielen Menschen, die mir dieses Jahr im Vorwege ermöglicht haben, sowie auch Monte Azul und Brasilien im Allgemeinen für all die schönen Momente und Erfahrungen, die ich hier sammeln konnte.

Zum Abschluss dieses Reiseblogs möchte ich ein Gedicht mit euch teilen, das mich (dank der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners) auf meiner Reise begleitet hat.

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend 
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,

An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen.,
Er will uns Stuf um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegensenden.,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Herrmann Hesse

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Die Taschen sind gepackt – Deutschland, ich komme!

 

Waldorf-ich

Zugegeben: Ein bisschen „waldorfig“ war ich wahrscheinlich schon immer drauf – ohne es selbst gewusst zu haben. Während meiner eigenen Schulzeit habe ich keine Waldorfschule besucht. Ich komme ja nicht aus einer „Waldi-Familie“ und meine Mutter hat es wegen des Schulgeldes auch nie als Möglichkeit für mich und meinen Bruder betrachtet. Dadurch bin ich erst im Lehramtstudium überhaupt mit der Waldorfpädagogik in Kontakt gekommen: zuerst durch ein Gruppenreferat im Seminar „Reformpädagogik“ und später durch mein letztes Schulpraktikum, das ich an der Waldorfschule Flensburg gemacht habe. Wie die meisten von euch sicher wissen, hat es mir dort so gut gefallen, dass ich gleich noch ein halbes Jahr länger als Vertretungslehrerin dort geblieben bin und auch meine Master-Abschlussarbeit zu dem Thema geschrieben habe. In dieser Zeit habe ich einige Vorerfahrungen zum Thema Waldorf sammeln können. Das auffälligste Merkmal einer Waldorfschulen ist wohl: Man kann schon auf einige hundert Meter Entfernung sehen, dass es sich um eine Waldorfschule handelt. Warum das so ist: Kaum zu übersehen sind die bunten Gebäude in Orange-, Rosa- und Gelbtönen, womöglich mit abgerundeten Kanten oder einer anderweitig alternativen Architektur und umgeben von viel Grün sowie einem angrenzenden Schulgarten. Geht man durch die Flure einer Waldorfschule sieht man die gleichen Farben und abgerundeten Ecken, man sieht außerdem (natürlich handgeschnitzte) Holzschilder an den Türen, die darauf hinweisen, dass sich hinter jener Tür der „Handarbeitsraum“ oder der „Eurythmiesaal“ befindet. Aus den Klassenräumen klingt viel Gesang, Kinderstimmen, die mehr oder weniger im Chor Sprüche rezitieren oder der (nicht immer liebliche) Klang einer Blockflötenstunde, während aus der schuleigenen Küche der Duft von Bio-Fairtrade-Kaffe und Gemüselasagne herüberweht.

Freie Waldorfschule Flensburg

Dennoch waren meine Eindrücke eher vage, denn ich habe dadurch, dass ich Realschullehramt studiert habe, entsprechend auch eher Kontakt mit den höheren Klassenstufen gehabt, bei denen der Schulalltag schon mehr dem einer staatlichen Schule entspricht. Dementsprechend waren meine Erwartungen an das Schulleben hier in der Escola da Resiliéncia ziemlich offen, da ich keinen wirklichen Vergleich zu einer deutschen Waldorf-Grundschule hatte. Was ich wusste war nur, dass ich Englischlehrerin für Grundschüler sein werde. Als ich die Räumlichkeiten der Escola das erste Mal betrat, war mir sofort klar: Ob Brasilien oder Deutschland: Waldorf bleibt Waldorf. Von den Pastell-Wandfarben und dunklen Holzfußböden zu den Jahreszeiten-Ecken, von den ins Portugiesisch übersetzten Steiner-Morgensprüchen zum Flötenunterricht, ist diese Schule einfach durch und durch „waldorfig“.

Die Chácara

Waldorf-Orange

Jahreszeiten-Ecke (1.Klasse)

Einige Klassen bauen ihr eigenes Gemüse an

Gut, einige Abstriche muss man wohl machen, wenn man eine Waldorfschule in der Peripherie São Paulos aufmacht: Die Blockflöten sind aus Plastik, beim Bohnern der Holzfußböden wird das (biologisch garantiert nicht abbaubare) Putzwasser einfach vor die Türe gekehrt und „Bio“ sucht man in den Küchen der Einrichtung vergebens. Das ökologische Bewusstsein, das bei uns in Europa schon seit einigen Jahren und an Waldorfschulen schon immer etabliert ist, ist in Brasilien gerade erst im Kommen. Immerhin: In der Chácara wird der Müll getrennt und es gibt eine Recycling-Sammlung. Beim Kochen werden in den Schulklassen Tontöpfe statt der hierzulande üblichen Aluminiumtöpfe verwendet und beim Abwaschen des Geschirrs achten die Lehrerinnen penibel aufs Wassersparen. Trotzdem gibt es zum Frühstück Couscous aus Transgen-Mais und der Salat wird vor der Zubereitung erst einmal mit Chlor gewaschen. Naja, einen Schritt zur Zeit muss wohl die Divise sein, wenn es darum geht mehr Bewusstsein für eine gesunde und umweltverträgliche Lebensweise zu schaffen.

Holzschilder gibt es auch hier

Eine wirklich interessante Mischung ist die Auswahl der Waldorf-Unterrichtsstoffe, denn hier findet man – fast zwangsläufig, denn die Waldorfbewegung stammt nun einmal aus Deutschland – eine Sammlung brasilianischer und europäischer Elemente. Ohne Zweifel sind Steiners Morgensprüche so allgemein gehalten, dass sie auch in Portugiesisch schön und geistreich klingen und ihren praktischen Zweck im Schulalltag erfüllen. Also macht es völlig Sinn, dass die gleichen Sprüche, die ich aus der Flensburger Waldorfschule kenne, auch hier in Horizonte Azul allmorgendlich aufgesagt werden. Absolut nachvollziehbar ist, dass in der Tier- und Pflanzenkunde völlig andere Spezies vorkommen als Steiner sich erträumt hätte. Zu den Jahreszeitenfesten werden brasilianische statt europäische Lieder gesungen und neben Ostern und Weihnachten wird auch das landestypische Juninafest (Festa de São João) gefeiert.

Brasilianischer Eurythmieunterricht

Man findet aber auch einige Kuriositäten im Unterrichtsstoff: Beim Geschichtenerzählen in den untersten Klassenstufen werden vorwiegend Märchen der Irmãos Grimm erzählt, im Eurythmieunterricht erklingen Pianostücke aus der europäischen Klassik und die Epoche zur „Nordischen Mythologie“ in der vierten Klasse wirkt etwas deplatziert, können doch weder Schüler noch Lehrer Namen wie „Freya“ oder „Heimdal“ aussprechen. Was meiner Meinung nach jedoch am meisten zählt, ist, was die Waldorfpädagogik mit den Menschen macht. Vergleicht man die Schüler, die seit dem Jardim hier zur Schule gehen und inzwischen in der vierten Klasse sind, mit anderen Gleichaltrigen aus dem Bairro Horizonte Azul, fällt sofort auf, dass diese viel ruhigere, feingeistigere Persönlichkeiten sind. Ein Drittklässler läuft Blockflöte spielend über das Schulgelände, eine Gruppe Viertklässler verbringt ihre Pause am liebsten in der Schulbibliothek und eine Fünftklässlerin präsentiert stolz ihren Schal, den sie selbst im Handarbeitsunterricht gestrickt hat. Die meisten Schüler malen gern und dementsprechend zieren Schülerarbeiten die Wände aller Klassenzimmer und bringen noch mehr Farbe in die ohnehin schon farbenfrohen Räume.

Drittklässlerinnen mit ihrem Strickzeug

Drittklässlerinnen mit ihrem Strickzeug

Und auch die Lehrer sind von einem anderen Schlag: Für die Kinder erstellen sie bezaubernde Tafelbilder und sie lieben es, zu sticken, zu nähen und zu basteln. Sie studieren zusätzlich zur Arbeitszeit Theaterstücke ein und treffen sich nach Feierabend noch zum Gitarrespielen und Singen. Sie achten auf eine ausgewogene Ernährung und überlegen sich in Mitarbeiterversammlungen, wie man effektiver Wassersparen könnte.

Musizieren und Waldorf gehören fest zusammen

Musizieren und Waldorf gehören fest zusammen

Tafelbild nach Waldorf-Art

Tafelbild nach Waldorf-Art

Kurz gesagt: Wenn ich mit einer Gitarre auf dem Rücken, einer Flöte in der Handtasche und einer Chormappe unterm Arm morgens zur Arbeit gehe, komme ich mir schon ganz schön „waldorfig“ vor – und fühle mich dabei wie ein Fisch im Wasser. Neben all den Erfahrungen, die ich Brasilien zu verdanken habe, habe ich hier in Horizonte Azul auch zu meinem „Waldorf-Ich“ gefunden und denke beinahe reumütig daran, dass ich zurück in Deutschland ja zuerst noch mein Referendariat an einer Staatsschule machen muss, bevor ich mir als fertige Lehrerin doch endlich eine Waldorfschule suchen kann, an der mein Schulalltag von farbenfrohen Aquarellen, selbstgestrickten Schals und Blockflötenklängen erhellt wird.

Jahreszeiten-Ecke (4.Klasse)

Sommer, Sonne, Schwerverbrecher

Der Feiertag Proclamação da República letzte Woche hat uns ein langes Wochenende beschert, welches wir natürlich zum Verreisen genutzt haben. Wieder ging es Richtung Strand, dieses Mal aber in die südliche Richtung in die kleine Stadt Itanhaém. Über brasilianische Bekannte durften wir zu zehnt im Ferienhaus eines brasilianischen Bekannten wohnen. Wir – das waren 4 Freiwillige aus meinem Haus in Horizonte Azul, 2 aus Monte Azul und 4 aus der Arco.
Das Wetter bei unserer Ankunft war nicht unbedingt das klassische Strandwetter mit strahlendem Sonnenschein, aber es war angenehm warm und das hat mir schon gereicht. Immerhin bekam man so auch nicht so schnell einen Sonnenbrand. Das haben sich scheinbar auch alle anderen gedacht, denn der Strand war trotzdem gut gefüllt.

Strand von Itanhaém

Es war angenehm warm, aber nicht allzu heiß

Noch am ersten Abend entdeckten wir eine kleine Strandbar, geführt vom sympathischen Di, der uns dann auch die ganzen übrigen Tage an seiner Bar begrüßen durfte. Es gab Caipiriha in allen erdenklichen Geschmacksrichtungen: klassisch mit Limone, aber auch Maracujá, Erdbeere, Kiwi, Cocos.
Natürlich gab es auch mein brasilianisches Lieblingsbier „Skol“ (den dänisch anmutenden Namen kann ich mir bis heute nicht erklären) und das Erfrischungsgetränk „Guaraná“, das mehr Koffein als Cola enthält und das man Nationalgetränk bezeichnen kann.

Unsere „Stamm-Bar“

Es waren drei sehr erholsame Tage, an denen man keine Termine hatte, nicht einmal früh aufstehen musste, da auch keinerlei Ausflüge auf dem Programm standen. Eigentlich haben wir – abgesehen vom Frühstück und Abendessen in großer Runde zuhause – den ganzen Tag am Strand verbracht, Spaziergänge entlang des Wassers gemacht, gequatscht und mit den Feuerpois oder Indiaca gespielt.
Als kleinen Snack zwischendurch konnte man immer von Strandverkäufern Maiskolben und Tapioka kaufen. Und natürlich fehlten auch nicht meine beißgeliebten grünen Kokosnüsse. 🙂

Ich habe von einem anderen Freiwilligen Tricks mit den Feuerpois gezeigt gekriegt

Gut zum Ausspannen

Am Samstag haben sich noch der Hausbesitzer und auch Johannas Freund zu uns gesellt und wir hatten alle gemeinsam einen weiteren schönen Strandtag, der wie immer langsam ausklang, als die Sonne unterging und sich nach und nach alle kleinern Gruppen in Richtung unseres Ferienhauses verabschiedeten. Ich gehörte zu denen, die noch etwas länger blieben, sodass der erste Schwung schon zuhause duschen konnte und das Abendprogramm (also Essen und Getränke…) vorzubereiten konnte. Zuhause angekommen ging ich auch erst mal duschen und ging dann auf die Terrasse, zu den Leuten, die schon draußen saßen oder in den Hängematten lagen, Getränke zu sich nahmen, rauchten und sich unterhielten.

In dem Moment kamen durch das Eingangstor plötzlich zwei unbekannte junge Männer, und in dem Moment, als sie sich Kapuzen über den Kopf zogen, wurde mir einem Schlag klar, dass das keine freundlichen Gesellen waren. Der eine der beiden zog eine Pistole, richtete sie auf uns und befahl uns allen, sofort ins Haus gehen. Wir drei oder vier, die zu dem Zeitpunkt auf der Terrasse waren, taten wie verlangt und gingen es Wohnzimmer, da hieß es schon: „Alle auf den Boden!“. Die anderen, einige gemütlich auf dem Sofa liegend oder in der Küche Essen kochend, schauten völlig überrumpelt, als plötzlich so viel Bewegung ins Zimmer kam. Einer, der sich nicht schnell genug auf den Boden legte, bekam dann noch einen Tritt in die Seite, ansonsten wurden die Täter zum Glück nicht gewalttätig. Während alle so am Boden lagen, spürte ich, wie mein Herz zu rasen begann, eine andere Freiwillige neben mir begann zu weinen. Nebenbei hörte man die ganze Zeit fröhliche Musik aus der Anlage tönen. Die Blicke, die wir uns zuwarfen, waren ganz unterschiedlich, teils verstört, verängstigt, unsicher, was als nächstes passieren sollte. Einige erschienen traurig, resigniert oder sogar amüsiert (was aber wohl eher dem Rauschzustand der betreffenden Personen zuzuschreiben war…).

In der Zwischenzeit schlossen die Täter alle Fenster und holten eine, die gerade duschte, nur in ein Handtuch gewickelt aus dem Badezimmer. Sie schickten uns alle ins hinterste Schlafzimmer des Hauses, wo wir dann schweigend nichts tun konnten als abzuwarten, während einer von den beiden das Haus nach unseren Wertgegenständen durchsuchte. Der andere unterdessen bewachte uns mit seiner Pistole in der Hand und forderte uns immer wieder auf, ihm nicht ins Gesicht zu schauen. Trotzdem habe ich natürlich einmal kurz geschaut und gesehen, dass die Täter sehr jung waren, vielleicht 18 Jahre alt. Danach ging es ins andere Zimmer und die Prozedur wurde wiederholt, bis die Täter irgendwann endlich verschwanden und wir uns nach einigen Minuten Stille trauten, das Zimmer zu verlassen und die Polizei zu rufen.

So nahm unser Urlaub ein für mich ziemlich schockierendes Ende – zehn Monate ist mir in Brasilien nichts passiert, sodass ich mich wahrscheinlich schon in falscher Sicherheit gewähnt habe. Diese Erfahrung lehrt mich, dass man besser nicht in so großen auffälligen „Gringo-Gruppen“ verreisen sollte und auch besser aufpassen sollte, mit wem man sich unterhält.
Dennoch will ich mir nicht den Rest meines Aufenthalts hier verderben lassen und hoffe, dass ich bald über den Schock hinweg bin. Immerhin ist ja jedem, der nach Brasilien kommt, bewusst, dass Diebstahl und Überfälle hier an der Tagesordnung sind, und wir sind alle froh, dass außer Materiellem niemand zu Schaden gekommen ist.

Jeder Brasilianer, mit dem ich danach über den Vorfall gesprochen wurden, hatte selbst bereits mindestens eine ähnliche Geschichte zu berichten. Einige sind in ihrem Leben bereits vier mal überfallen worden. Insofern muss ich es wohl einsehen, dass ich bisher einfach Glück gehabt habe. Andererseits hoffe ich natürlich, dass das auch die letzte Erfahrung dieser Art bleibt.

Festa dos Povos

Das Festa dos Povos (Fest der Völker) fand am 12. Oktober bei uns in der Chácara statt und eingeladen waren natürlich alle Kinder und Eltern sowie andere Interessierte aus dem Horizonte Azul. Auch die Freiwilligen aus den anderen Nucleus Monte Azurs waren mit dabei und stellten ihre verschiedenen Länder an Ständen vor. Angeboten wurden landestypische Spezialitäten aus Deutschland, der Schweiz, Argentinien und vielen anderen Ländern. Mein persönliches Highlight waren dennoch die regionalen grünen Kokosnüsse, von denen ich einfach nicht genug bekommen kann. Wie ich in Deutschland meine neu erworbene Sucht befriedige, steht noch in Frage…

Neben dem kulinarischen Programm, gab es auch noch andere kulturelle Angebote: eine Ausstellung von Kunstgegenstände, traditionelle Tänze und Lieder. Darunter waren auch meine drei Präsentationen im Fach Englisch mit der 3., 4. und 5. Klasse und eine Aufführung mit dem Lehrerchor.

Hier das Fest in Bildern – an dieser Stelle vielen Dank an meinen Mann Arne, der mich zu dieser Zeit in Brasilien besucht hat!

Alles war mit internationalen Fahnen geschmückt

Internationale Spezialitäten wurden verkauft (Hier: Wanda für Argentinien)

Es gab einen Workshop für Blumenkränze

Die Präsentationen waren bunt gemischt

Johanna und ich haben das Theaterstück der vierten Klasse musikalisch begleitet

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Der kleine, aber feine Lehrerchor

Tanz zu einem englischen Lied mit der 3. klasse

Was Händel wohl dazu sagen würde

Diesen Artikel möchte ich insbesondere meinen Freunden im Flensburger Bach-Chor widmen, die sich durch den Titel vermutlich am ehesten angesprochen fühlen werden.

Eigentlich soll dieser Blog ja primär meiner Freiwilligenarbeit hier in Brasilien gewidmet sein. Da aber alle, die mich kennen, wissen, dass Singen ein wichtiger Teil meines Lebens ist, erstaunt es wohl nicht, dass ich auch hier in Brasilien einen großen Teil meiner Zeit damit verbringe.

Mein Arbeitsalltag in der Waldorfschule enthält bereits viel Gesang: Von der morgendlichen Begrüßung („Sol, querido Sol“), über Festmusik (São João), bis zu den englischen Liedern, dich ich in meinem Unterricht verwende, ist Musik nicht aus dem Waldorfalltag wegzudenken. Selbst die wöchentliche Mitarbeiterversammlung wird durch ein gemeinsam gesungenes Lied eingeleitet.

Mir als eingefleischten Chorsängerin reicht das jedoch noch nicht. Ein Jahr ohne meinen Bach-Chor-Freundeskreis ist schon Entbehrung genug. Doch die Herausforderung von Zwerchfell und Stimmbändern, sowie die gesummten oder gepfiffenen schwierigen Koloratur-Stellen, die einem in Endosschleife im Kopf hängen – das kann kein São João-Ohrwurm ausgleichen!

Wie ich bereits in einem früheren Eintrag erwähnt habe, habe ich mir daher schon im April einen Chor direkt hier in São Paulo gesucht: Den Coral da Cidade de São Paulo. Der Vorteil: Dieser Laienchor widmet sich ganz der música erudita, also der Musik, die wir allgemein als Klassik bezeichnen. Und solche Chöre gibt es in Südamerika nicht gerade wie Sand am Meer, handelt es sich doch nicht wie bei uns zum volkseigenen Kulturgut, sondern um Importware. Dementsprechend froh war ich, einen Chor gefunden zu haben, in dem ich „meine Musik“ singen kann. Einziger Nachteil: das frühe Aufstehen am Samstagmorgen. Die Chorprobe beginnt zwar „erst“ um 9 Uhr – allerdings zwei Stunden Fahrt entfernt, nahe des Stadtzentrums. Aber das ist schön, denn so können wir – und mit „wir“ schließe ich meine liebe Mitfreiwillige Johanna mit ein, die seit ihrer Ankunft ebenfalls Chormitglied ist – uns jede Woche wieder aufs Neue unserer deutschen Disziplin versichern. 😉

Der Anlass für mich, nun diesen Artikel zu schreiben, ist der Abschluss des ersten Werkes, das ich mit „meinem neuen“ Chor einstudiert habe: Händels Messiah.

Das wird vielleicht den ein oder anderen wundern: Ein Weihnachtsstück Ende Juli? Auch ich war zunächst verwirrt, bis mir einfiel, dass die Konzerte somit in den tiefsten Winter fallen, also zumindest jahreszeitlich gut passen. Und in den letzten Wochen, wenn wir abends in Jacken und Decken gewickelt und Tee schlürfend im Freiwilligenhaus saßen, fühlte ich mich das eine oder andere Mal durchaus in der Stimmung, ein weihnachtliches „Adeste Fideles“ anzustimmen. Messiah im Juli ist also doch nicht so abwegig, wenn man sich in Brasilien befindet.

Kalt – da kann man durchaus ein bisschen Weihnachtsstimmung aufbringen

Ein Jahr lang hat der Chor sich nun also auf dieses doch recht umfangreiche Oratorium vorbereitet und die Probenarbeit nun endlich durch vier denkwürdige Konzerte abgeschlossen. Bis zur letzten Generalprobe musste ich mich gedulden, unseren Veranstaltungsort endlich bestaunen zu können. Dieser war nämlich keine geringerer als die Sala de São Paulo, berühmt für ihre Architektur (es handelt sich um einen ehemaligen Bahnhof) und einer der besten Akustiken der Welt. Angeblich handelt es sich gar um die beste Konzerthalle Lateinamerikas, in der auch schon Andreas Scholl gesungen hat und die in Reiseführern von São Paulo als Sehenswürdigkeit aufgezählt wird. Demensprechend beeindruckt war ich: eine riesige Bühne, rund 1500 Zuschauerplätz, stillvolle Verzierungen, warme Beleuchtung, gepolsterte Sitze für den ganzen Chor. 🙂

Foto vom Konzert in der Sala de São Paulo

Allein schon in dieser Hinsicht waren die Konzerte für mich also schon ein außergewöhnliches Erlebnis, bin ich es doch eher gewöhnt in den kalten Kirchen Schleswig-Holsteins zu singen.

Nun muss die Konzertgarderobe natürlich dem Ambiente entsprechen, also war für alle Chormitglieder Uniform angesagt. Für die Männer: Anzug mit vereinseigener Krawatte; und für uns Frauen: langes schwarzes Kleid samt Stola und Glitzerbrosche. Die Kleider durften wir direkt vom Verein kaufen, aber aufgrund des günstigen Preises (alles zusammen für ca. 30 Euro) unterstelle ich hier mal keine Geschäftemacherei. 😉

Chic in Uniform

Das Programmheft zu den Konzerten wurde professionell gedruckt und sieht auch dementsprechend edel aus. Voller Begeisterung stellten Johanna und ich fest, dass neben allgemeinen Informationen zu Stück und Musikern, sowie der obligatorischen Übersetzung des englischen Textes ins Portugiesische, auch alle Chorsänger namentlich aufgelistet wurden. In dieser Auflistung von rund 200 Sängern sind also nun auch Johannas und mein Name verewigt. 😀

In Deutschland habe ich noch nicht bewusst erlebt, dass so ein großer Chor seine Mitglieder auflistet. Dabei finde ich, dass es eine schöne Idee ist. Selbst wenn sich außer dem Korrektor vermutlich niemand alle Namen durchgelesen hat, ist es doch eine Form der Wertschätzung und des Respektes für die Anstrengung, die jeder Beteiligte in die gemeinsame Aufführung gesteckt hat.

Alle Chormitglieder werden namentlich aufgelistet

Und diese Anstrengung, die aufgebracht werden musste, ist tatsächlich viel höher als bei einem vergleichbaren Konzert meines Chores in Deutschland. Diese Theorie habe ich zumindest im Verlauf der Probenarbeit und im Austausch mit meinen neuen Chorkollegen aufgestellt.

Zum Einen bereiten die englischen Texte den meisten Brasilianern viel mehr Schwierigkeiten als uns Deutschen, die einen vergleichsweise hervorragenden Englischunterricht genießen. Befragt man hier Menschen nach ihren Englischkenntnissen, erhält man durchweg die Antwort, dass in der Schule eigentlich nur die Formen von to be gelernt wurden. Wer hier gut Englisch spricht, hat in aller Regel auch entsprechend dafür bezahlt (oder das Glück, im Nachbarhaus deutscher Freiwilliger aufzuwachsen… mehr zu unseren Nachbarskindern in einem anderen Beitrag).

Nun möchte ich nicht behaupten, dass deutsche Chorsänger alle perfekt englisch sprechen. Trotzdem hätte ich bisher nicht angenommen, dass man einem Chor einen Akzent anhören kann. Anstatt zu beschreiben, wie es klingt, wenn 200 Sänger „All we like sheep“ mit einem portugiesischen Akzent singen, verweise ich an dieser Stelle lieber auf die Videoaufnahmen vom Konzert.

Fairerweise muss man aber sagen, dass die Aussprache gegenüber anderen Qualitäten eines Chores weit hintenan steht. Solange die Artikulation klar und einheitlich ist, kann man darüber hinweg sehen, finde ich. Für mich persönlich bringt die brasilianische Aussprache sogar einen gewissen Charme ins Werk und macht den Chor noch liebenswerter.

Vielmehr sind es aber die gesanglichen Qualitäten, die bei einem Chor entscheidend sein sollten. Und gerade hier bin ich beeindruckt von der Anstrengung, dem Ehrgeiz und Arbeit, die dazu gehören, als 200-köpfigem Laienchor den kompletten (!) Messias aufführen zu können.

Bisher habe ich noch unerwähnt gelassen, dass der Chor offen für jeden ist. Das heißt auch, dass keine Aufnahmeprüfung stattfindet, bei der man abgelehnt werden kann. Die einzige Voraussetzung für Mitglieder ohne musikalische Vorerfahrung ist die Teilnahme am Theorie- und Gesangsunterricht, der allerdings vom Verein durch professionelle Gesangslehrer kostenlos (!) zur Verfügung gestellt wird. (Wäre São Paulo nicht so groß, würde ich am liebsten selbst von diesem Angebot profitieren, aber 2 x 2 Stunden Fahrt unter der Woche kann ich mir leider nicht leisten.) In erster Linie soll auf diese Weise jedem ein Zugang zu klassischer Musik ermöglicht werden, in zweiter Linie ist dieser musikalische „Nachhilfeunterricht“ aber auch notwendig, da der schulische Musikunterricht einen noch schlechteren Ruf genießt als der Englischunterricht. Nicht nur ist er auf eine viel kürzere Zeit begrenzt als in Deutschland; darüber hinaus wird so gut wie gar nicht gesungen oder praktisch musiziert – außer man ist Waldorfschüler.

Neben dem großen Chor gehört zu den ehrgeizigen Projekten des Vereins außerdem ein Kinderchor, der bei großen Konzerten ein paar Stücke mitsingen darf; beim Messiah zum Beispiel den Hallelujah-Chor. Man kann also mit einer praktisch untrainierten Stimme in diesem Chor anfangen und mit etwas Durchhaltevermögen schließlich den Messias mitsingen. Und dank der straffen Probenstruktur (1 Stunde Einsingen/Stimmbildung, 1 Stunde Stimmproben, 1 Stunde Gesamtprobe) und dem ein oder anderen Griff in die Trickkiste bei schwierigen Vokalisen („Singt ALLES Staccato, damit man die einzelnen Töne hört!“) ist der Messiah trotz schwieriger Voraussetzungen präsentationsfähig geworden. Dem Chor und insbesondere seinem Leiter Luciano Camargo gilt hierfür meine ganze Anerkennung.

Was braucht ein Chor nun noch, um ein Konzert singen zu können, außer Einheitskleidung am Leib und dem Messias auf der Zunge? Richtig, Verhaltensregeln.

Und damit meine ich nicht Vereinbarungen zum Auftreten („Reihenweise auftreten, durch die linke Tür“, wie sie zu jedem Konzert auch in Deutschland gehören, sondern auch:

„Bitte NICHT dem Publikum zuwinken oder Kusshände verteilen!“

„Auf der Bühne nur im äußersten Notfall aufstehen, also wenn ihr wirklich dringend auf Toilette müsst! NICHT um eure Freunde zu besuchen!“

„Keine Unterhaltungen mit dem Nachbarn während des Konzerts!“

„Keine Handys auf der Bühne! Auch nicht die Frauen, die meinen, das Handy könne man unauffällig im Ausschnitt verschwinden lassen!“

Der Sinn dieser Regeln, über die wir uns auf dem Weg zur Bühne noch amüsiert haben, wurde mir wenige Minuten später bewusst. Da wurden dann als erstes Verwandte und Freunde begrüßt, Handys wurden gezückt, um noch schnell ein paar Bühnen-Selfies bei Facebook hochladen zu können. In der Pause erhoben sich ausgesprochen viele „Toiletten-Notfälle“. Ein Chormitglied drehte seine Runden ausgestattet mit einer Spiegelreflexkamera und fotografierte reihenweise glückliche Sänger, die zu dritt oder mehreren posierten. Die kleine, deutsche Stimme in meinem Kopf flüsterte: „Das dürfen die gar nicht! So gehört sich das aber nicht, also wirklich, mitten im Konzert! Und dazu noch in so einem schicken Konzerthaus, da muss man sich doch mal ein bisschen zusammenreißen können!“ Selbst die Stimmführer nutzen die Auszeit, um noch schnell ein kleines Feedback und Tipps für den weiteren Verlauf mitzugeben oder Beschwerden entgegenzunehmen. Als mir dieser Tumult auf der Bühne schon unangenehm wurde, erinnerte mich ein Blick ins Publikum glücklicherweise daran, dass wir eben nicht in Deutschland waren: Hier ein verliebtes Pärchen, das die Pause nutzt, sich ausgiebig die gegenseitige Zuneigung zu zeigen, dort eine Dame, die die Frontkamera ihres Smartphones zum Spiegel umfunktioniert, um ihr Make-Up aufzufrischen. Gefühlt die Hälfte des Publikums kam nach der Pause erst wieder rein, als das Konzert schon wieder im Gange war – wo soll das Problem sein?

Während der Pause

Nach den Konzerten wurden wir befragt – allein die Tatsache, dass wir Deutsche sind, qualifiziert uns offenbar dazu, so etwas wie eine Expertenmeinung abzugeben –, wie uns denn die Konzerte gefallen hätten. Ich habe wahrheitsgemäß geantwortet, dass es mir gut gefallen habe, aber „anders“ gewesen sei als ich es aus Deutschland kenne. Den Teil mit dem (von meiner Seite gefühlten) fehlenden Sinn für Zeremonie und Ernsthaftigkeit konnte ich spontan nicht erklären und habe ihn weggelassen, was vielleicht auch ganz gut so war. Ein bisschen Chaos ist nichts Schlimmes und gehört zum Leben dazu. Die Geschichte mit dem Kinderchor, der nur das erste und das letzte Konzert mitsingen durfte, vermutlich auf Grund von rechtlichen Bestimmungen bezüglich der Uhrzeit (die Konzerte dauerten bis fast 24 Uhr), worüber sich aber scheinbar bis zum Tag des Konzertes niemand Gedanken gemacht hat, habe ich bis heute nicht ganz verstanden. Aber muss ich ja auch nicht. 😉

Anfangs habe ich noch überlegt, ob es vielleicht eine bessere Idee wäre, mir einen Chor zu suchen, der brasilianische Musik singt, um möglichst viel Kultur mitbekommen zu können. Immerhin kann ich Händel und Brahms ja auch zuhause in Deutschland singen. Andererseits singe ich, wie anfangs erwähnt, bereits die ganze Woche über Lieder auf portugiesisch – da kann ich meinen Stimmbändern wohl einmal die Woche ein kleines bisschen Heimat gönnen. Und wie jetzt vielleicht nachvollziehbar geworden ist: Hier in São Paulo vermag mir auch das Singen in einem klassischen Chor das brasilianische Lebensgefühl jede Woche ein Stück näherzubringen.

Messiah-Konzert

Kurz vor dem Konzert im Chorsaal

🙂

Arbeiten, feiern, leben auf brasilianische Art – Zwischenresümee meines Auslandsjahres

Heute habe ich auf den Tag genau die Hälfte meines Freiwilligendienstes hinter mich gebracht. Die zweite Hälfte liegt nun noch vor mir. In den letzten Tagen und Wochen habe ich immer mehr festgestellt, wie schnell die Zeit vergeht. Und langsam beschleicht mich auch die Vermutung, dass es mir zum Ende hin immer schneller vorkommen wird. Bereits jetzt bekomme ich leichte „Torschluss-Panik“ – so vieles gibt es noch zu sehen, auszuprobieren, zu erfahren!
Ich denke, dass es wichtig ist, sich die eigenen Wünsche, Erwartungen und Ziele klar zumachen, damit man am Ende nicht allzu enttäuscht ist, dass man noch nicht ALLES gesehen hat, was es zu sehen gab. Denn ein Jahr ist zwar eine lange, aber dennoch begrenzte Zeit. Deshalb möchte ich mir lieber realistische Ziele stecken, um nachher mit dem Gefühl zurück nach Deutschland gehen zu können, einen meiner Lebensträume tatsächlich erfüllt zu haben.

Mein Zwischenresümee:
Ich lebe in Brasilien und bin schon eine (fast) vollständige Einwohnerin der Stadt Sao Paulo. In wenigen Tagen erhalte ich meine eigene CPF von der Polícia Federal, eine eigene Registrierungsnummer, die jeder gemeldete Brasilianer hat, und die man als Ausländer nach einem halben Jahr Aufenthalt erhält. São Paulo – vielmehr noch Horizonte Azul – ist für mich schon ein Zuhause geworden. Schon längere Zeit fühle ich mich nicht mehr wie ein Tourist in der Fremde, sondern habe einen normalen Alltag und sehe hier im Stadtteil immer häufiger bereits bekannte Gesichter auf der Straße. Durch den Chor in der Innenstadt habe ich nun auch Freunde und Bekannte aus ganz unterschiedlichen Gegenden und mit verschiedenen sozialen Hintergründen.

Mein Portugiesisch ist inzwischen auf einem Niveau, mit dem ich mich fast immer erfolgreich verständigen kann. Mit Freunden und Bekannten kann ich mich über längere Zeit hinweg auf portugiesisch unterhalten, nur bei komplizierten Sachverhalten mangelt es mir noch oft an Vokabular. Grammatik müsste ich eigentlich auch üben, allerdings fehlt mir hierzu die Motivation, da die Kommunikation ja normalerweise trotzdem gelingt, selbst wenn man die Verbformen oder Artikel verdreht. Ich bin immer noch jedes Mal ein kleines Bisschen stolz, wenn ich mich unterwegs mit Fremden erfolgreich verständigen kann. Meistens sind es Situationen wie „nach dem Weg fragen“ – wie oft habe ich mir schon Buslinien, Haltestellen, Umsteigemöglichkeiten etc. erklären lassen – oder „Einkaufen“ – vermutlich wäre es praktischer, vorher im Wörterbuch nachzuschlagen, wie das, was man sucht, eigentlich auf portugiesisch heißt, aber erklären macht auch Spaß ;). Mein Ziel ist es, nachher Portugiesisch so gut zu beherrschen, dass ich mich ohne (sprachlich begründete) Missverständnisse verständigen kann.

Nun zum wichtigsten Teil meines Rückblicks: Was habe ich durch meine Freiwilligenarbeit und mein Leben hier in Brasilien bereits gelernt, was ich in Deutschland nicht hätte lernen können? Welche Erwartungen haben sich erfüllt, welche (noch) nicht?
Ich bin mit der Erwartung hierher gekommen, dass Englischunterricht dringend benötigt wird und ich dementsprechend auch primär dafür eingesetzt werde. Immerhin hieß es in der Ausschreibung, dass insbesondere für Instrumente und Fremdsprachen dringend Freiwillige gesucht werden. Tatsächlich habe ich das erste halbe Jahr allerdings vorwiegend gebastelt, geputzt, Gemüse geschnitten und mit Kindern gespielt. Bis vor einer Woche habe ich nur 3-4 mal die Woche jeweils eine Stunde Englisch unterrichtet. Zum Teil an den Rahmenbedingungen – die Schule umfasst nun einmal nur 5 Klassen – und auch an mir, denn ich habe mich tatsächlich etwas davor gescheut, die unteren Klassen zu unterrichten, weil ich aus dem (Realschul-)Studium so gut wie nichts über den Fremdsprachenunterricht für ganz junge Lerner weiß, und mich anfangs auch nicht wirklich gut auf Portugiesisch mit ihnen verständigen konnte.
Zum anderen ist es aber mehr als nur ein Klischee, dass Brasilianer nicht auf dieselbe Art und Weise organisieren wie es Deutsche tun. Ich habe früher oft gehört, dass Organisation, Struktur und Zuverlässigkeit deutsche Tugenden seien. Die Bedeutung dessen habe ich aber erst in den letzten Monaten wirklich erfahren. Es ist eben nicht selbstverständlich, dass etwas, das angekündigt wird, auch tatsächlich geschieht. Es ist auch nicht selbstverständlich, dass die Koordinatoren verschiedener Bereiche sich so absprechen, dass eine Freiwillige möglichst effektiv eingesetzt wird. Da kommt es eben vor, dass sich der Verantwortliche der Jugendarbeit darüber beklagt, dass es keine Englischlehrer gibt, und die ausgebildete Englischlehrerin im Unterricht einer anderen Lehrerin sitzt und Filzstreifen für Flötentaschen zurecht schneidet, weil es sonst gerade nichts zu tun gibt. Allerdings sehe ich diesen (aus meiner Perspektive) Mangel an sinnvoller Organisation inzwischen als eine weitere Lernerfahrung, die ich hier in Brasilien mache.
Immer wieder erleben Johanna und ich Situationen, über die wir uns vor ein paar Monaten noch aufgeregt hätten, und über die wir heute lachen können. In ein paar weiteren Monaten werden wir sie vielleicht gar nicht mehr als ungewöhnlich empfinden. Teilweise kann das auch eine wichtige Lektion für mich persönlich werden. Oft habe ich mich in Deutschland über Dinge geärgert, die bei genauerer Betrachtung eigentlich gar nicht besonders wichtig waren. Ich hoffe, dass ich für solche Situationen die brasilianische Gelassenheit mitnehmen kann. Wir haben bereits von einer Brasilianerin die Handgeste gelernt, die für solche Situationen existiert: Man schlägt mehrmals abwechselnd den einen Handrücken gegen die Handunterseite der jeweils anderen Hand – das heißt so viel wie: „Tanto faz“ (=whatever; für mich ist es ohne Belang, wie das jetzt genau läuft). Diese Geste ist für mich sehr aussagekräftig und steht im starken Kontrast zur Ernsthaftigkeit und Genauigkeit, die für mich inzwischen „typisch deutsch“ geworden ist.

Tanto faz.

Diese Einsichten in landestypische Eigenschaften habe ich vor allem dem Zusammenleben mit unserer neuen argentinischen Freiwilligen zu verdanken, mit der wir uns oft zu dritt über solche Unterschiede unterhalten. Dadurch haben Johanna und ich bereits oft einsehen müssen, dass etwas gar nicht unbedingt „typisch brasilianisch“ ist, sondern unsere Sichtweise darauf „typisch deutsch“. 🙂
Eine weitere brasilianische Eigenschaft, die ich kennengelernt habe und auch ein wenig annehmen möchte, ist die Fähigkeit, ohne besonderen Anlass feiern zu können und ausgelassen und fröhlich zu sein. Und damit meine ich etwas anderes als ein plattes „Hey, lass uns Party machen!“, sondern ein Lebensgefühl, das bereits den Kindern hier – nicht nur sprichwörtlich – in die Wiege gelegt wird. Ich habe erlebt, wie selbst der Geburtstag eines Einjährigen hier lautstark und mit einer schätzungsweise 5kg-Torte gefeiert wurde, oder wie eine tosende Menschenmenge in der Innenstadt Sao Paulos den WM-Sieg der Deutschen feiert, obwohl es doch Deutschland war, das Brasiliens katastrophale Niederlage (7:1) im Halbfinale verursacht hat. Zusammengenommen ist das ein Lebensgefühl, das mich immer wieder zum Staunen bringt, und das ich zumindest im Ansatz für mich mitnehmen möchte.

Für meinen weiteren Aufenthalt habe ich mir vorgenommen, weiterhin landestypische Kulturgüter kennen zu lernen. Nachdem ich Forró nun schon ein halbes Jahr lang gelernt habe, möchte ich nun noch Sertanejo (Tanz) lernen und einen Capoeira-Kurs besuchen. Das Reiseziel Rio de Janeiro steht schon längere Zeit fest. Außerdem möchte ich noch mindestens einmal ans Meer, nachdem es in Trindade so wunderschön gewesen ist. Dass ich den Regenwald besuche, halte ich inzwischen für unwahrscheinlich, da sowohl Zeit als auch Geld begrenzt sind. Lieber hebe ich mir das für einen späteren Brasilien-Besuch auf und konzentriere mich darauf, die Gegend um São Paulo noch besser kennen zu lernen.
Für meine Freiwilligendienst habe ich mir nun vorgenommen, daran zu arbeiten, welche Spuren ICH hinterlasse. Alle Kinder, die bei mir Englischunterricht gehabt haben, sollen auch tatsächlich etwas dabei lernen, sodass die Englisch-Freiwilligen, die nach mir kommen, nicht wieder bei quasi Null anfangen müssen. Und vielleicht kann ich, indem ich meinen Stundenplan mehr selbst in die Hand nehme, eine Kostprobe der deutschen Organisationsfähigkeit nach Brasilien bringen, in der Hoffnung, dass ein wenig davon abfärbt und so beide Seiten vom kulturellen Austausch profitieren können. 😉

Klassenausflug nach Santo Amaro

Jetzt, da die Zeit der Junina-Feste langsam vorüber ist, rücken auch schon die Ferien näher. Die Lehrer haben die Gelegenheit, auf das Geschaffte zurückzublicken und sich und die Schüler für die Arbeit zu belohnen. So hat auch die vierte Klasse ihre Geografie-Epoche, in der Horizonte Azul und die umliegenden Stadtteile behandelt wurden (auch für mich sehr interessant!), mit einem Klassenausflug abgeschlossen.

Früh am Mittwochmorgen sollte es losgehen: 13 Schüler und vier LehrerInnen haben sich – mit Rucksäcken und Lunchpakten ausgestattet – auf den Weg nach Santo Amaro gemacht. Wir sind zu Fuß zur Endstation des Busses gegangen, um in einen leeren Bus einsteigen zu können, denn normalerweise sind die Busse in Richtung Innenstadt hier in São Paulo immer so überfüllt, dass eine Schulklasse unmöglich darin Platz finden könnte.

Auf zum Bus!

Nach der etwa einstündigen Busfahrt mussten wir noch drei Stationen mit der Metro fahren, und sind dann vom Terminal João Dias aus losgegangen. Unsere Route führte uns über den Rio Pinheiros, einen leider meist etwas übel riechenden Stadtfluss.

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In der Metro

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Terminal João Dias – von hier sind wir zu Fuß bis zum Terminal Santo Amaro gewandert

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Aussicht auf Santo Amaro und Pinheiros

Unsere Frühstückspause haben wir in einem kleinen Park gemacht. Alle Kinder holten ihre Lunchpakete heraus. Einige Kinder wurden allerdings schnell auf die Obdachlosen aufmerksam, die offenbar auf den Bänken in unserer Nähe übernachtet hatten. Dieses Bild ist ja gerade in Großstädten keine Seltenheit, und leider muss ich zugeben, dass ich scheinbar schon sehr abgestumpft bin und es als die traurige Realität abgetan habe. Die Kinder aber, die ja selbst in spärlichen Verhältnissen aufgewachsen sind, konnten nicht einfach darüber hinwegsehen. Schnell entschlossen sie, den Obdachlosen etwas von ihren Frühstückspaketen abzugeben. Es spielte sich eine sehr rührende Szene ab, als immer mehr Kinder hinübergingen, jedes mit etwas zu essen in der Hand. Sie haben auch das Gespräch gesucht und viele Fragen gestellt. Mich hat das alles sehr betroffen gemacht…

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Frühstückspause

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Die Jungen nähern sich den Obdachlosen

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Viele Schüler waren neugierig und wollten mit ihnen reden

Unser Weg führte uns weiter in das Zentrum von Santo Amaro. Wir besuchten die Bibliotheca Municipal Presidente Kennedy, die wir nur kurz besichtigen wollten. Die Damen am Empfang waren aber sehr engagiert und boten eine kurze Führung für die Klasse an. Dafür musste jeder am Eingang allerdings seinen Namen in eine Liste eintragen und ankreuzen, welcher Altersgruppe man angehört, welchen Schulabschluss man hat, und – unvorstellbar in Deutschland! – welche Hautfarbe (indigen, weiß, gelb oder schwarz) man hat.

Es gab einige allgemeine Erklärungen zur Geschichte der Bibliothek, denen die Kinder mehr oder weniger aufmerksam folgten, danach ging es in die Kinderabteilung der Bibliothek. Das haben die Kinder wirklich sehr genossen. Man hat sofort gemerkt, dass sie normalerweise keinen Zugang zu solchen Büchern haben.

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Die Kinder tragen sich in die Liste ein

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Die Lehrerin zeigt ein Buch in Blindenschrift

Die Kinder erkunden die Bibliothek

Nach dem etwas ausgedehnteren Besuch der Bibliothek haben wir uns noch die ehemalige Markthalle von Santo Amaro angesehen, die heute ein Kulturzentrum ist. Die Kirche Igreja Matriz konnte wir leider nicht von innen ansehen, weil sie zur Zeit renoviert wird. Gegen 14 Uhr haben wir uns dann wieder mit dem Bus auf den Rückweg nach Horizonte Azul gemacht. Es war ein sehr schöner Tag, an dem man die Kinder wieder einmal außerhalb des regulären Schulalltags kennen lernen konnte.

Kleine Pause im Park

Karte von Santo Amaro im Casa Cultural

Igreja Matriz

 

Feststimmung in São Paulo

Wieder ist ein Monat im Flug vergangen. Am 1. Juli werden es bereits 5 Monate sein, die ich hier in São Paulo bin.
Zur Zeit ist aber auch so viel hier los, dass ständig etwas los ist: Das Festa Junina, die Renovierung unseres Freiwilligenhauses und natürlich der Beginn der Weltmeisterschaft!

Das Festa Junina, oder hier auch festa de São João genannt, ähneln den nordeuropäischen Mittsommerfesten. Bevor ich nach Brasilien kam, wusste ich gar nicht, dass es diese Feste auch in Südamerika gibt. Traditionell wurde von der katholischen Landbevölkerung die Geburt des Heiligen St. Johannes (eigentlich am 24. Juni) gefeiert. Auf deutsch spricht man von dem Johannistag. Zu den tradionellen Feierlichkeiten gehören Verkleidungen im Landstil (Mädchen: Blumenrock, Zöpfe, aufgemalte Sommersprossen, Jungen: Karohemd, Hut, aufgemalter Bart), Fähnchengirlanden, Formationstanz (z.B. Quadrilha in zwei Reihen) und natürlich massenweise Speis und Trank. Auch wir Freiwilligen haben an den Feierlichkeiten teilgenommen. Ich durfte sogar mit der 4. Klasse (in der ich Englischunterricht gebe) einen Tanz mit aufführen. 🙂 Abends gibt es auf vielen Festen dann auch alkoholische Getränke und ein großes Festfeuer. Insgesamt habe ich nun schon drei verschiedene Festa Juninas mitgefeiert, und morgen wird noch eines in der Chacara gefeiert.

Wandas Basteltisch

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Eine (nicht ganz traditionelle) Quadrilha

Wettbewerb beim Festa Junina in einer benachbarten Organisation: Wer erreicht den Plastiksack am Baum?

Ich, Johanna und Wanda (unsere neue Mitbewohnerin aus Argentinien)

Zwischen den Festen – insgesamt war ich schon auf drei Juninafesten – haben wir zusammen mit unserer neuen Freiwilligen (Wanda aus Argentinien) unser Freiwilligenhaus neu gestrichen. Das Ergebnis kann sich sehr sehen lassen, aber es war auch ziemlich anstrengend. Immerhin hatten wir Hilfe von einem Mitarbeiter, der ein bisschen mehr Ahnung vom Streichen hat als wir. Dadurch sind wir doch recht zügig vorangekommen, und haben letztendlich sogar noch geschafft, gründlich auszumisten, was vorherige Freiwillige hier im Haus so liegen lassen haben. Insgesamt haben wir zwei große Müllsäcke aus unserem Haus geschafft!
Durch die neue Farbenpracht, in der unser Haus nun erstrahlt fühlt man sich schon gleich viel wohler. Dadurch wird die Kälte, die jetzt mit dem Winteranfang kommt, vielleicht leichter zu ertragen. Nachts ist es teilweise nur 5° – sowohl draußen als auch drinnen, denn wir haben ja keine besondere Isolation und auch keine Heizmöglichkeiten. Deshalb genießen wir es nun oft, nach dem Kochen in der noch warmen Küche zu sitzen, die zugleich unser Wohnzimmer ist.

Unsere Küche, rechts geht es zum Bad und zu Johannas und meinem Zimmer

Unsere Küche: Links vorher (mit Sophia), Rechts nachher (Johanna und ich)

Links die neuen Farben, rechts ich beim Abschmirgeln der Schmierereien

Jetzt ist auch unser Zimmer richtig wohnlich

Johanna beim Ausmisten

Obwohl wir weit vom Großstadttrubel der Innenstadt entfernt wohnen, geht die Weltmeisterschaft nicht unbemerkt an uns vorbei. Die Straßen sind blau-weiß-grün geschmückt, viele Häuserwande mit Sprüchen versehen. Aber es gibt auch kritische Straßenbemalungen und Graffitis, denn wie ja auch in Europa bekannt geworden ist, hat der Staat hier viel Geld in die WM-Vorbereitungen investiert, das jetzt an anderen Orten fehlt. Wir Freiwilligen haben uns das Eröffnungsspiel im Hause unserer „Gastmutter“ zusammen mit der ganzen Familie angesehen. Einen Bericht spare ich mir an dieser Stelle und verweise stattdessen auf einen (deutschsprachigen) Blog eines weiteren Besuchers: Torlos in Horizonte Azul. Sehr lesenswert!

WM- Stimmung in Horizonte Azul

„Brasil – onde as coisas não funcionam!“ (Brasilien – wo die Dinge nicht funktionieren)

Alles bereit zum Fußballgucken

Im Wohnzimmer bei Silvana: Die ganze Familie fiebert zusammen mit

Raus aus der Großstadt

Drei Monate – und damit ein Viertel – meines Auslandsjahres sind bereits um. Damit höchste Zeit herauszufinden, wie Brasilien eigentlich außerhalb São Paulos aussieht.

Den 1. Mai (der auch hier in Brasilien Tag der Arbeit ist) haben wir Freiwilligen zum Anlass genommen, ein verlängertes Wochenende (4 Tage) lang zu verreisen. Unser Reiseziel war das kleine Örtchen Trindade, das nahe der historischen Stadt Paraty im benachbarten Bundesstaat Rio de Janeiro gelegen ist. Dorthin kann man direkt mit dem Reisebus ab dem großen Busbahnhof Tieté fahren. Die Tickets muss man aber schon imVoraus buchen, denn Paraty ist ein beliebtes Reiseziel.

Wie auch der Personennahverkehr innerhalb São Paulos ist das Reisen mit dem Bus sehr preiswert. Für die über 6-stündige Nachtfahrt haben wir umgerechnet nur etwa 20€ pro Person bezahlt. Die Reisebusse sind überraschend komfortabel: Man hat reichlich Beinfreiheit und die Sitze kann man so weit zurückstellen, dass man beinahe auf dem Schoß seines Hintermanns liegt.

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Sonnenaufgang in Paraty

Sonnenaufgang in Paraty

So habe ich auch ein bisschen dösen können, bis wir schließlich um 6 Uhr morgens in Paraty angekommen sind (Bilder Bus + Paraty). Dort sind wir umgestiegen und ca. eine Stunde später in Trindade angekommen. Schon auf den ersten Blick ist Trindade eine völlig andere Welt als São Paulo. Einwohner scheint es so gut wie keine zu geben. Die Hauptstraße (die bereits den größten Teil des Städtchens ausmachen) besteht eigentlich nur aus Restaurants, Kleidungs- und Souvenirshops. Die davon abgehenden Seitenstraßen sind mit Wegweisern zu diversen Pensionen, Ferienwohnungen und Hostels versehen. So haben wir auch unser Hostel „Kaissara“ innerhalb weniger Minuten gefunden. Leider haben zu der Zeit noch alle geschlafen und wir mussten ein bisschen vor dem Haus warten, bis wir einchecken konnten. Die Zeit haben wir genutzt, unsere Unterkunft zu bestaunen: Das kleine Holzhaus, das am Waldrand gelegen ist – umgeben von tropischen Sträuchern und Büschen voller Kolibris und völlig still bis auf das Rauschen eines Baches – vermittelte uns das Gefühl, im Paradies gelandet zu sein.
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Hostel

Hostel

Unser Zimmer im Hostel

Unser Zimmer im Hostel

Veranda mit Hängematte

Veranda mit Hängematte

Nachdem wir unser Gepäck abgeladen und ein kleines Frühstück zu uns genommen hatten, sind wir los zu einem der Strände. Wir haben den Tipp des „Herbergsvaters“ George beherzigt und einen etwas längeren Fußmarsch in Kauf genommen, um zu einem schöneren Strand zu kommen. Der Weg führte über einen bewaldeten Hügel und war nicht wirklich flip-flop-geeignet, aber letztendlich war es die Mühe wert, denn wir haben einen so malerischen Strand vorgefunden, wie man ihn ansonsten nur von Postkarten oder Kalendern kennt.
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Wir haben bis zum Nachmittag am Strand entspannt und uns als I-Tüpfelchen an einer Strandbar noch leckeres Agua de Coco Verde gegönnt. Für das Nachtleben in Trindade waren wir wegen der Busfahrt zu müde, aber wie sich herausstellte, verwandelt sich das ansonsten ruhige Hostel bei Nacht in eine Art internationale Party-WG, sodass wir uns keinesfalls langweilen mussten. 😉

Leider war das mit dem frühen Schlafen dadurch auch etwas schwierig, denn unser Zimmer lag direkt neben dem Frühstücksraum (bzw. um diese Uhrzeit Partyraum), aber diesen kleinen Nachteil des Unterkunft konnte man verschmerzen angesichts der ansonsten so vielen „Luxusgüter“ wie Ruhe, Sicherheit und Sauberkeit. Sogar das Leitungswasser im Hostel war echter Luxus. Es stammt direkt aus einer Quelle am Berg, sodass man es anders als in Sao Paulo bedenkenlos trinken konnte.

Den nächsten Tag haben wir für einen Ausflug nach Paraty genutzt. Wie erwähnt ist Paraty berühmt für den barocken Baustil, und wir waren ganz beeindruckt, uns in kopfsteingepflasterten Straßen wiederzufinden, die man genauso gut irgendwo in Portugal oder Spanien hätte finden können. Nachdem wir das Zentrum zu Fuß erkundet hatten, haben wir noch eine Hafenrundfahrt gemacht. Vom Boot aus haben wir noch mehr paradisische Strände gesehen, teilweise sogar auf „einsamen Inseln“, auf denen es nichts gab als ein Haus, ein Wäldchen und weiße Sandstrände mit Kokospalmen. Wir waren einstimmig der Meinung, ein neues Lebensziel gefunden zu haben: Hier zu wohnen. 😉

In den Gassen Paratys

In den Gassen Paratys

Traumstrand

Traumstrand

 Am dritten Tag, der leider zu gleich schon wieder der Vortag unserer Abreise war, sind wir zu einem Wasserfall gewandert, der allerdings von den Ausmaßen her nicht so beeindruckend war wie erhofft. Idyllisch war es aber trotzdem, so mitten im tropischen Wald am Wasserfall zu sitzen.

Wasserfall (cachoeira)

Wasserfall (cachoeira)

Danach sind wir an einen Strand in der Nähe gegangen, aber die Wellen waren eigentlich zu stark zum Baden, sodass wir früh zurück gewandert sind. Wir wollten außerdem unsere Kräfte für den Abend sparen, um mit Jo in seinen Geburtstag reinzufeiern. Zum Glück wird in Trindade scheinbar jeden Abend auf der Straße gefeiert, sodass wir nicht lange nach einem Ort zum Feiern suchen mussten. So ließen wir den Abend mit Musik und Bier fröhlich ausklingen.

Am Abreisetag haben wir den Vormittag noch genutzt, ein letztes Mal Sonne am Strand zu tanken. Wir waren alle etwas missmutig, diesen schönen Ort nun wieder verlassen zu müssen, um in die Großstadt zurückzukehren. Zum ersten Mal habe ich ganz bewusst Dinge gewertschätzt, die in Deutschland für mich selbstverständlich waren, und die man hier in Sao Paulo vergebens sucht: saubere Luft, Stille, leckeres Leitungswasser… Bereits nach nur drei Monaten in São Paulo habe ich gespürt, wie erschöpftt ich eigentlichbereits durch die Lebensbedingungen in der Metropole war. Die Hektik in den Metrostationen, der Lärm auf den Straßen zu jeder Tages- und Nachtzeit, der Gestank von verbrennenden Müllhaufen – durch unseren Kurzurlaub im paradisischen Trindade fallen mir all diese Zumutungen für die Bewohner São Paulos nun besonders stark auf. Aber es war auch eine erfreuliche Erkenntnis, dass Brasilien viel mehr zu bieten hat, als ich bisher in São Paulo gesehen habe. Ich hoffe, wir haben noch einige Gelegenheiten zu reisen und mehr von Brasilien zu entdecken.

Kolibri

Kolibri

Johanna und ich

Johanna und ich

Unterwegs in São Paulo

Ich muss gestehen: Bis vor kurzem habe ich aufgrund der Größe São Paulos (aber auch aufgrund meines schlechten Orientierungssinns…) Ausflüge an unbekannte Orte eher vermieden.

Allein die Fahrten zu den Chorproben am Wochenende (nach Lapa dauert es ca. 2 Stunden) haben mir schon gereicht. São Paulo ist einfach so unfassbar groß, dass schon Horizonte Azul und die umliegenden Stadtteile sowie Monte Azul für mich persönlich völlig ausreichen würden… Der Nachteil ist allerdings, dass man so nur eine Seite von São Paulo kennenlernt, wenn man ständig nur die Favelas sieht.

Allerdings ist die Hemmschwelle „mal eben in die Innenstadt“ zu fahren, ziemlich hoch, denn um von Horizonte Azul aus erst einmal das Metro-Netz zu erreichen, muss man zunächst 45 Minuten mit dem Bus fahren. Je nach Verkehrslage kann das auch stark variieren – fuer dieselbe Strecke haben wir auch schn 2 Stunden gebraucht. An der Endstation unseres Busses in Capão Redondo steigen wir dann immer um in die Metro und fahren ab Santo Amaro weiter mit der CPTM (Bahn) Richtung Norden. Erst hier hat man Umsteigemöglichkeiten Richtung Zentrum. Ziemlich anstrengend das Ganze und fuer mich als Anfaengerin immer noch nicht wirklich ueberschaubar…

Horizonte Azul befindet sich noch suedwestlich vom See Guarapiranga und ist dementsprechend nicht auf der Karte zu sehen

Horizonte Azul befindet sich noch suedwestlich vom See Guarapiranga und ist dementsprechend nicht auf der Karte zu sehen

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Unser Anfahrtsweg zur Chorprobe (Horizonte Azul – Lapa)

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Unterwegs mit dem Bus

Bus

Bus

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Metrostation Capão Redondo

CPTM-Bahnhof in Lapa

CPTM-Bahnhof in Lapa

Mein Geburtstag am 12. war der ideale Anlass, mal etwas Besonderes zu unternehmen und die Innenstadt ein bisschen zu erkunden. Also bin ich mit Johanna (der neuen Freiwilligen bei uns) und Jo (Freiwilliger aus einer benachbarten Einrichtung) nach unserer Chorprobe in Lapa weiter Richtung Zentrum gefahren. Die 2 Stunden Fahrt nach Lapa hatten wir ja schon hinter uns und mussten nur noch zwei mal umsteigen, um zum Bahnhof Paulista zu gelangen. Von dort aus sind wir zu Fuß los in Richtung Rua Augusta, bei Nacht eine beliebte Straße zum Feiern, wo wir im Restaurant „Vegacy“ vom Buffet gegessen haben.

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Im Mercado Municipal in Lapa gibt es so ziemlich alles an Lebensmitteln

Johanna in einem Bus-Terminal

Johanna in einem Bus-Terminal

Der vierstockige Bahnhof Pinheiros

Der vierstockige Bahnhof Pinheiros

Paulista

Paulista

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Lecker Geburtstagsessen

Lecker Geburtstagsessen

Am Abend waren wir vom Fahren (die Rückfahrt dauerte aufgrund des Verkehrs 3 Stunden) in Verbindung mit der Hitze so müde, dass wir letztendlich gar keine Lust mehr hatten, feiern zu gehen. Das fand ich aber gar nicht schlimm, denn auch so habe ich an meinem Geburtstag reichlich erlebt. 🙂

Die vergangenen 4 Tage (Karfreitag bis Ostermontag) hatten wir ja alle frei und haben die Gelegenheit wieder genutzt, ein bisschen in São Paulo unterwegs zu sein. Wir haben uns den beruehmten Stadtteil Liberdade angesehen.  Neben vielen asiatischen Restaurants und Geschaeften befindet sich hier in der Naehe auch die groesste Kathedrale São Paulos. Fuer uns kulturverwoehnte Europaer vielleicht etwas weniger beeindruckend, aber doch ein besonderer Anblick in dieser Stadt.

Tolle Aussicht auf die Skyline von einer Bruecke in Liberdade

Tolle Aussicht auf die Skyline von einer Bruecke in Liberdade

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In der Naehe von Liberdade befindet sich die Kathedrale in Sé

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„Historische“ Fotos

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In der Naehe der Kathedrale (man beachte die Ampel)

In den Geschäften dort gibt es viele internationale Spezialitäten. Unter anderem habe ich dort ein italienisches Bruschetta und deutsches Marzipan gefunden! Aber auch die Obstläden waren ein besonderes Erlebnis. Grüne Kokosnüsse, Mangos, Tangerinen, Papayas, Ananas – alles in Hülle und Fülle. Ich habe zum ersten Mal frische Kakaofrüchte gesehen, die dort auch als Saft angeboten wurden. Wir sind aber doch beim guten alten Agua de Coco (Kokoswasser aus der grünen Kokosnuss) geblieben.

Geschaeft in Liberdade

Dieses schoene Foto hat Jo in Liberdade gemacht

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Mein neues Lieblingsgetraenk

Coco verde

Coco verde

Den gestrigen Ostermontag haben wir im Stadtpark Ibirapuera ausklingen lassen. Da es mittlerweile schon um 18 Uhr dunkel wird, haben wir den Park aber nicht mehr bei Tageslicht anssehen können und müssen das unbedingt demnächst nachholen.

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Ibirapuera am Abend